Was ich sonst noch verpasst habe | Stories by Lucia Berlin

Was ich sonst noch verpasst habe | Stories by Lucia Berlin

Autor:Lucia Berlin [Berlin, Lucia]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783037900000
Herausgeber: Oetinger E-Books
veröffentlicht: 2016-02-18T16:00:00+00:00


Zuerst tauchten sie an einer felsigen Stelle, wo es viele Seeigel und Muränen gab. Das Wasser war trübe, starke kalte Strömungen erschwerten die Sicht und das Schwimmen. Ein Hornhecht stach sie in den Arm. Ramón und Raúl tauchten mit ihr auf, umwickelten den Schnitt fest mit Stofffetzen, um zu verhindern, dass das Blut Haie anlockte. Wieder unter Wasser verlor sie die beiden aus den Augen; César hatte sie überhaupt noch nicht gesehen. Ich hoffe, das gilt als schlechter Tauchgang, witzelte sie zu sich selbst, aber sie hatte Angst. Sie konnte niemanden sehen, nichts. Sie trat Wasser, fühlte sich, als hätte sie sich im Wald verirrt. Ihr ging die Luft aus. Sie zog am Band der Reserveflasche, aber nichts geschah. Nicht panisch werden. Langsam auftauchen. Langsam. Aber sie war panisch, ihre Lungen drohten zu bersten. Sie tauchte langsam auf, zog wie wild am Band. Keine Luft. César war da, direkt vor ihr. Sie zog ihm das Mundstück weg, steckte es sich in den Mund.

Sie trank die Luft mit einem Schluchzer der Erleichterung. Er wartete, nahm ihr dann ruhig das Mundstück wieder weg, atmete selbst. Er geleitete sie an die Oberfläche, während das Mundstück zwischen ihnen hin- und herwechselte.

Sie durchbrachen die Wasseroberfläche. Luft, Licht. Sie zitterte; Madaleno half ihr ins Boot.

»Ich schäme mich so. Bitte verzeih mir.«

César hielt ihren Kopf in seinen Händen. »Ich hatte deinen Reservetank verschlossen. Du hast genau das gemacht, was du machen solltest.«

Auf dem Rückweg frotzelten die Taucher über sie, aber sie waren sich einig, dass sie am nächsten Tag nach Los Morros mitkommen konnte. »Pues, es brava«, sagte Raúl. »Sí«, César grinste. »Ella podría ir sola.« Sie könnte auch alleine tauchen. Er hielt sie wahrscheinlich für eine dieser aggressiven, tüchtigen amerikanischen Frauen. Ich bin tüchtig, dachte sie, den Kopf nahe am Bootsrand, die hohen Wellen wischten die Tränen weg. Sie schloss die Augen und dachte an das Gedicht, wusste jetzt, wie das Ende lauten musste. Und so kehrt alles Blut / an den Ort seines inneren Friedens zurück.

Der nächste Tag war überwältigend klar. Los Morros war ein nackter Monolith weit draußen im Meer, vom Ufer aus beinahe nicht zu sehen. Er war weiß von Guano, Tausende Vögel ließen ihn schwindelerregend pulsieren. La Ida ging weit davon entfernt vor Anker, aber auch über den sich brechenden Wellen war noch das Kreischen der Vögel zu hören, das geisterhafte Flappen und Flattern der Flügel. Der Gestank nach Urin und Guano erregte Übelkeit, war benebelnd wie Äther.

Tiefes Absinken. Fünfzehn Meter, zwanzig Meter, dreißig, fünfunddreißig. Als lägen die Berge von Colorado unter Wasser. Klippen und Schluchten, Talsohlen und Senken. Fische und Pflanzen, die Eloise noch nie gesehen hatte; die Fische, die sie kannte, waren hier riesig, fett. Sie zielte auf einen Riesenzackenbarsch, verfehlte ihn, zielte noch einmal und traf ihn genau richtig. Er war so groß, dass Juan ihr dabei half, ihn auf ihren Fish Stringer zu ziehen, das Seil schnitt ihr brennend in die Finger. Wildes Aufziehen und Schießen ringsum. Lora-Fisch, Schnapper, Gelbschwanzmakrelen. Sangre. Sie traf einen Sägebarsch und noch einen Riesenzackenbarsch, zufrieden, denn sie hatte César nicht gesehen, war auf sich allein gestellt.



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